VwGH zu Zeitungszustellern: Zustellerfolg, Vertretungsrecht und eigener Pkw sprechen für Werkvertrag

Tax News 5/2024

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Haken auf Klettersteig

Im vorliegenden Fall geht es um die Einstufung von Vertragsverhältnissen als Dienst- oder Werkverträge. Das Niederösterreichische Landesverwaltungsgericht (LVwG) sah „keinen Raum“ für Werkverträge. Mangels nachvollziehbarer Begründung hinsichtlich der rechtlichen Einstufung der Vertragsverhältnisse war eine Überprüfung durch den VwGH aber nicht möglich, weswegen er die Erkenntnisse aufhob. Nach Ansicht des VwGH sprechen insbesondere der geschuldete Zustellerfolg, ein generelles Vertretungsrecht und die Verwendung des eigenen Pkw für das Vorliegen eines Werkvertrages (VwGH 9.9.2024, Ra 2022/11/0181).

1. Sachverhalt / Verfahrensgang

Die Revisionswerberin vor dem VwGH ist eine in Tschechien ansässige Gesellschaft. Gemäß vom LVwG bestätigten Straferkenntnissen hatte sie slowakische und tschechische Arbeitnehmer in NÖ zur Auslieferung von Zeitungen eingesetzt, ohne die erforderlichen Lohnunterlagen und Sozialversicherungsdokumente am Arbeitsort bereitzuhalten sowie die Meldungen gemäß Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) zu erstatten und zugänglich zu machen. Konkret ging es um Zusteller, die aufgrund von Rahmenvereinbarungen tätig wurden und bestimmte Touren abfuhren (Auslieferung und Rückführung von Selbstbedienungstaschen für Sonntagszeitungen).

Das LVwG ging von Dienstverträgen und nicht von Werkverträgen aus. Die Zusteller hatten sich in den Rahmenvereinbarungen schriftlich – unter Androhung einer Konventionalstrafe – zur Erledigung der mündlich vereinbarten Touren verpflichtet, entweder selbst oder durch einen Vertreter. Sie seien aufgrund persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit als Arbeitnehmer anzusehen.

2. VwGH: Unzureichende Begründung zur Einstufung der Vertragsverhältnisse

Die der Revisionswerberin angelasteten Übertretungen des LSD-BG setzen dem Grunde nach die Arbeitgebereigenschaft und damit voraus, dass es sich beim Vertragsverhältnis zwischen der Gesellschaft und den kontrollierten Zustellern um Dienst- und nicht um Werkverträge handelt.

Die Frage der Arbeitnehmereigenschaft ist zunächst anhand des konkreten Vertragsinhalts zu beurteilen. Dabei sind die wahren Verhältnisse maßgeblich, ob also bei der tatsächlichen und nicht bloß vereinbarten Art der Beschäftigung die Kriterien persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit überwiegen. Die Freiheit von persönlichen Anweisungen, also die Möglichkeit, die Arbeit selbständig zu organisieren und jederzeit zu ändern, ist ein entscheidendes Kriterium, das gegen eine persönliche Abhängigkeit spricht. Der VwGH bezog sich auf § 5 Abs. 1 Z. 18 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG). Dazu führen die Gesetzesmaterialien zur hier interessierenden Berufsgruppe der Selbstbedienungsaufsteller aus, dass diese lediglich einen Zustellerfolg schulden. Für dessen Erbringung besteht ein nach eigenem Ermessen wahrzunehmender Zeitraum. Sie müssen die Zustellung insbesondere nicht persönlich erbringen und können sich nach eigenem Ermessen vertreten lassen. Zudem arbeiten sie mit eigenen Fortbewegungsmitteln.

Weiters ist zu ermitteln und sind Feststellungen darüber zu treffen, ob die Zusteller bei der Ausführung ihrer Arbeit wesentlichen Gestaltungsspielraum – etwa hinsichtlich Zeit und örtlicher Abfolge – hatten oder ob sie strikt den Anweisungen und Vorgaben der Revisionswerberin folgen mussten. Die persönliche Gestaltungsfreiheit wird nicht dadurch eingeschränkt, dass die Zusteller an einer bestimmten Abgabestelle die für sie bestimmten Zustellpakete entgegennehmen und die Zustellung innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne bewirken müssen: Dabei handelt es sich um sachliche, in der Natur der durchzuführenden Zustellungen liegende Vorgaben, womit im Ergebnis kein entscheidendes Argument für einen Dienstvertrag vorliegt.

Der VwGH hob die Entscheidung des LVwG wegen unzureichender Begründung auf und forderte weitere Ermittlungen zur genauen Art der Verträge und der Abhängigkeit der Beschäftigten. Das LVwG hatte „nur einzelne Aspekte zur persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit“ festgestellt. Es sind insbesondere weitere Ermittlungen und Feststellungen erforderlich hinsichtlich des generellen Vertretungsrechts, des Gestaltungsspielraums, der Integration in den Betrieb sowie der Kontroll- und Organisationsstruktur durch die Revisionswerberin.

3. Ergebnis und Praxishinweis

Gegenstand der Entscheidung war zwar Lohn- und Sozialdumping; dennoch prüfte der VwGH die Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Dienstvertrag anhand § 4 Abs. 2 ASVG. Der vom VwGH geprüfte Kriterienkatalog ist daher auch für das Beitragsrecht aufschlussreich. Die Unterscheidung zwischen Dienst- und Werkverträgen hängt maßgeblich von der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit der Beschäftigten ab. Kriterien wie Weisungsgebundenheit, persönliche Arbeitspflicht, Fremdbestimmtheit der Arbeit und funktionelle Einbindung in ein betriebliches Weisungsgefüge sind entscheidend. Dies ist immer eine Einzelfallentscheidung. Dabei ist laut VwGH ausschlaggebend, ob bei einer Gesamtbetrachtung nach der Methodik des beweglichen Systems die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach überwiegen.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Kriterien der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit überwiegen, sind die wahren Verhältnisse maßgeblich. Es ist dementsprechend auf die tatsächlichen Gegebenheiten eines Beschäftigungsverhältnisses und nicht bloß auf die vertragliche Gestaltung abzustellen. Vorsicht geboten ist also bei gelebter Praxis, die vom vereinbarten Vertragsinhalt abweicht. Erfahrungsgemäß sind prüfende Behörden hier besonders kritisch. Weichen nämlich die tatsächlichen Verhältnisse von den vertraglichen ab, kann dies ein Indiz für einen Scheinvertrag sein.


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