Haftung des Geschäftsführers zur Zahlung von Mehrwertsteuer
Tax News 1/2025
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Im Urteil vom 14.11.2024, C-613/23, Herdijk, befasst sich der EuGH mit der gesamtschuldnerischen Haftung von Geschäftsführern gegenüber dem Finanzamt bei Vernachlässigung der Geschäftsführerpflichten. Das Urteil zeigt, dass den nationalen Regelungen bei der Umsetzung von Unionsrecht oft „nur“ der Rahmen der Verhältnismäßigkeit entgegensteht, insbesondere wenn die europäische Gesetzgebung den Mitgliedsstaaten Gestaltungsspielräume überlässt.
1. Sachverhalt und Vorlagefragen
Das Ausgangsverfahren handelt von einem alleinigen Gesellschafter und Geschäftsführer einer Holdinggesellschaft, welche ihrerseits alleinige Gesellschafterin einer Betriebsgesellschaft war. Streitgegenstand waren nicht entrichtete Lohnsteuerschulden und Umsatzsteuerschulden. Mit Bescheid nahm die niederländische Steuerbehörde den Geschäftsführer für die nicht abgeführten Steuern sowie darauf entfallende Zinsen und Gebühren gesamtschuldnerisch in Haftung.
Der Bescheid wurde vor dem Bezirksgericht Den Haag erfolglos angefochten. Das Berufungsgericht stellte fest, stellte fest, dass die Betriebsgesellschaft Ihrer Verpflichtung zur Anzeige der Zahlungsunfähigkeit nicht nachgekommen sei. Weiters wurde festgestellt, dass der Geschäftsführer für einen bestimmten Zeitraum zu Unrecht in Haftung genommen worden sei, da er kurze Zeit später nicht mehr Geschäftsführer war und er die Anzeige für jenen Zeitraum, in dem er die Tätigkeit niedergelegt hatte, aufgrund offener Frist und da er gesetzlich als ehemaliger Geschäftsführer eine andere rechtliche Behandlung erfährt, noch machen hätte können. Demnach hat ihm das Gericht die Möglichkeit eingeräumt dieses Versäumnis nachzuholen.
Dem obersten Gerichtshof zufolge hätte der Geschäftsführer im Sinne der nationalen Rechtsprechung beweisen müssen, dass er der Anzeige der Zahlungsunfähigkeit aus Gründen von Krankheit bzw. Unfall oder aufgrund der Tatsache, dass er sich auf die Stellungnahme eines Dritten hatte verlassen können, nicht nachgekommen war.
Diese niederländische Regelung der gesamtschuldnerischen Haftung wurde auf Grundlage von Art. 273 MwStSyst-RL erlassen. Angezweifelt wurde durch den obersten niederländischen Gerichtshof, ob ein System der verschuldungsunabhängigen Haftung dem Grunde nach über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Ansprüche des Fiskus zu schützen und ob dieses System gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit spreche.
Das Verfahren wurde ausgesetzt und dem EuGH wurde die Frage vorgelegt, ob die im niederländischen Recht normierte gesamtschuldnerische Haftung mit Art. 273 MwStSyst-RL vereinbar ist.
2. Entscheidung des EuGH
Der EuGH nahm eine ausführliche Auslegung durch eine Wortinterpretation und eine systematische Interpretation vor. Basierend darauf führte der EuGH aus, dass Art. 273 MwStSyst-RL einen Gesamtschuldner zusätzlich zum eigentlichen Steuerschuldner bestimmt. Dem Wortlaut von Art. 273 der MwStSyst-RL gehe nicht hervor, dass die von den Mitgliedstaaten in dieser Bestimmung festgelegten Verpflichtungen nur mehrwertsteuerpflichtige Personen treffen könnten. Schließlich gehört diese Bestimmung zu Titel XI der MwStSyst-RL, der bereits mit der Überschrift „Pflichten der Steuerpflichtigen und bestimmter nichtsteuerpflichtiger Personen“ darauf Bezug nimmt.
Die Unionsrechtskonformität der Umsetzung einer gesamtschuldnerischen Haftung durch die Mitgliedstaaten ist im Hinblick auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit durch das tatsächliche und rechtliche Verhältnis zwischen den beiden betroffenen Personen zu beurteilen. Art. 273 MwStSyst-RL erläutert nicht weiter, welche Bedingungen für die Einführung einer gesamtschuldnerischen Haftung erfüllt sein müssen. Folglich wird den Mitgliedstaaten in Art.273 MwStSyst-RL ein Umsetzungsspielraum eingeräumt.
Der EuGH sah das Verhältnismäßigkeitskriterium im vorliegenden Fall als erfüllt an, weil der Geschäftsführer die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft hätte anzeigen können. Zudem hatte er die Möglichkeit zu beweisen, dass die Zahlungsunfähigkeit nicht auf seine mangelnde Geschäftsführung zurückzuführen war.
Im unmittelbar darauffolgenden Zeitraum konnte der Geschäftsführer die Anzeigepflicht „nachholen“ und der Haftung entfliehen. Es stellte sich die Frage, ob in Bezug auf die Andersbehandlung für diesen Zeitraum die Verhältnismäßigkeit gegeben ist und der Geschäftsführer nicht dieselbe Behandlung für den vorangegangenen Zeitraum erfahren hätte müssen. Der EuGH hielt fest, dass eine Regelung, die für jeden Steuerzeitraum eine separate Anzeigepflicht vorsieht, nicht unverhältnismäßig ist, auch wenn sie negative Folgen für den Geschäftsführer haben kann.
3. Ausblick
Obwohl dieses EuGH-Urteil die niederländische Umsetzung einer gesamtschuldnerischen Haftung behandelt, ist es auch aus österreichischer Sicht relevant, da auch das österreichische UStG verschiedene Haftungsbestimmungen für „fremde“ Umsatzsteuerschulden vorsieht. Beispielhaft wäre an dieser Stelle z. B. die Haftung bei Reverse-Charge Umsätzen gemäß § 19 Abs. 1 letzter Satz UStG sowie die Haftungsbestimmungen in § 27 UStG zu erwähnen, wobei insbesondere § 27 Abs. 4 UStG in der Praxis große Bedeutung hat. In dieser Hinsicht ist es für Unternehmer äußerst wichtig, den gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen und entsprechende Aufzeichnungen zu führen und diese auch aufzubewahren, um für eine etwaige Haftung weder als Verband noch ggf. nach Prüfung der Gesamtumstände als Geschäftsführer in Anspruch genommen zu werden.