Nichteinhaltung des 4-Augen-Prinzips in Büroorganisation begründet grobe Fahrlässigkeit und verhindert Wiedereinsetzung
Tax News 1/2025
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Bei Versäumung einer (Beschwerde-)Frist ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich (§ 308 Bundesabgabenordnung). Voraussetzung: Den Abgabepflichtigen trifft kein Verschulden oder nur leichte Fahrlässigkeit. Ist ein (Fristen-)Kontrollsystem eingerichtet und erweist sich dieses als lückenhaft, hat der Abgabepflichtige grobe Fahrlässigkeit zu verantworten. Konsequenz: Die Versäumung der Frist kann nicht „saniert“ werden.
1. Ausgeklügeltes Kontrollsystem
Bei der Abgabepflichtigen handelte es sich um eine GmbH & Co KG (keine Rechtsanwalts-/Steuerberatungskanzlei). Die Fristeinhaltung und -kontrolle oblag grundsätzlich dem Geschäftsführer (GF, Jurist) und einer weiteren Juristin. Das Kontrollsystem war im Wesentlichen wie folgt ausgestaltet:
- Entgegennahme und Sichtung von Dokumenten durch GF oder Juristin
- Berechnung und Eintragung der Frist am Dokument durch GF oder Juristin
- Besprechung/Abstimmung der Frist gemeinsam durch GF und Juristin (4-Augen-Prinzip)
- Eintragung der Frist in elektronischen Kalender
- Erneute Kontrolle durch Juristin
- Regel bei Urlaub/Krankheit GF oder Juristin: Eine Mitarbeiterin übernimmt die Aufgaben der jeweils abwesenden Person.
Ein 4-Augen-Prinzip ist somit zwingend vorgesehen.
2. Verstoß gegen 4-Augen-Prinzip: Erfassung der Frist im falschen Monat
Ende August 2020 wurde ein Abgabenbescheid zugestellt (Kanalisationsbeitrag). An diesem Tag hatte die Juristin ihren freien Tag. Es gab somit keine Absprache und keine Fristenkontrolle an diesem Tag. Auch die Urlaubsvertretung war an jenem Tag auf Urlaub. Der GF trug die Frist daher allein in das elektronische System ein. Er trug das Fristende falsch ein:
- Fristende korrekt: 26. September
- Fristende erfasst: 26. Oktober
Am nächsten Tag gab es eine Besprechung mit der Juristin. Diese prüfte stichprobenartig die Fristen und die Einträge im elektronischen Kalender. Dabei fiel ihr nicht auf, dass das Fristende mit dem falschen Monat datiert war. Nachdem das Fristversäumnis erkannt wurde (Mahnung der Abgabenbehörde), wurde umgehend die Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist beantragt. Dies wurde von der Abgabenbehörde abgewiesen.
3. VwGH: Kontrollsystem mangelhaft – erhöhte Sorgfalt nötig
Auch der VwGH (VwGH 9.1.2024, Ra 2021/13/0091) erkannte grobe Fahrlässigkeit. Nach Ansicht des VwGH muss die Büroorganisation (Vormerkung von Fristen und Kontrolle) derart organisiert sein, dass Unzulänglichkeiten infolge menschlichen Versagens voraussichtlich ausgeschlossen sind. Dies gilt nicht nur für Gebietskörperschaften, sondern auch (Kapital-)Gesellschaften. Liegen Organisationsmängel vor, wodurch die Erreichung dieses Ziels nicht gewährleistet ist, ist das Kontrollsystem unzureichend. Dann lässt sich nicht mehr von einem bloß minderen Grad des Versehens (leichter Fahrlässigkeit) sprechen. Der VwGH kam im Wesentlichen zu folgendem Ergebnis:
- Das Kontrollsystem ist mangelhaft, weil für den Fall der gleichzeitigen Abwesenheit mehrerer Personen keine Regelung getroffen wird.
- Das Kontrollsystem wurde zudem im konkreten Fall mangelhaft gelebt: Das selbst auferlegte Vier-Augen-Prinzip wurde verletzt.
- Angesichts der Nichteinhaltung des Organisationsablaufs wäre bei der am Folgetag erfolgten, stichprobenartigen Kontrolle der Frist durch die Juristin erhöhte Sorgfalt notwendig gewesen.
4. Bewertung: Kontrollsysteme müssen gelebt und geprüft werden
Ein internes (Fristen-)Kontrollsystem hilft bei Wahrung von Fristen. Bei Gebietskörperschaften aber auch (Kapital-)Gesellschaften erwartet der VwGH, dass ein solches System eingerichtet ist.
Die strenge Entscheidung des VwGH verdeutlicht, dass gut gemeinte Kontrollsysteme durchaus auch Risiken bergen. Wird gegen ein System verstoßen, ist es sehr schwierig, die Wiedereinsetzung erfolgreich zu erwirken. Auch ohne Dokumentation der tatsächlich vorgenommenen Kontrollhandlungen wird die Wiedereinsetzung nur schwer möglich sein.
Kommt es aber trotz Einhaltung des (Fristen-)Kontrollsystems zu einem Fristversäumnis, ist die Wiedereinsetzung zu gewähren. Dabei ist jedoch zu beachten, dass mit zunehmender (juristischer) Ausbildung die Sorgfaltsanforderungen an die handelnden Personen steigen.
5. Fazit
Der VwGH sendet zwei zentrale Botschaften aus:
- Erstens muss ein Kontrollsystem möglichst lückenlos ausgestaltet sein und beispielsweise für unvorhergesehene Ereignisse Sonderregeln treffen.
- Zweitens ist dann, wenn das Kontrollsystem doch einmal nicht eingehalten wird, ein besonders hoher Sorgfaltsmaßstab anzuwenden, um das Grundversagen im Einzelfall noch ausgleichen zu können.
Im vorliegenden Sachverhalt hat das grundsätzlich risikoaverse und ausgeklügelte Kontrollsystem leider nicht alle Eventualitäten erfasst. Eine wiederkehrende Prüfung des Kontrollsystems ist daher in der Praxis notwendig. Dies kann intern erfolgen oder aber auch durch Beiziehung von externem Knowhow (z. B. Steuerberater:innen).