Verweigerung der Kleinunternehmerregelung bei missbräuchlicher Gründung und fehlendem nationalen Missbrauchsverbot
Tax News 1/2025
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Der EuGH hat sich in seinem Urteil vom 4. Oktober 2024, UP CAFFE, C-171/23 mit der Frage beschäftigt, ob einem Steuerpflichtigen die Inanspruchnahme der kroatischen Kleinunternehmerregelung verwehrt werden kann aufgrund einer vermuteten missbräuchlichen Praktik (Gesellschaftsgründung), obwohl die nationale Rechtsordnung für den strittigen Zeitraum keine Rechtsgrundlage für die Versagung der Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung für solche Fälle vorsieht. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind nationale Behörden und Gerichte verpflichtet, die Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung zu versagen, auch wenn das nationale Recht keine spezifischen Bestimmungen über das Verbot missbräuchlicher Praktiken enthält.
Sachverhalt
Die kroatische Steuerverwaltung führte bei der Gastronomiebetreiberin UP CAFFE (im Folgenden auch Klägerin) eine Steuerprüfung durch und stellte fest, dass die Klägerin Teil einer aggressiven Steuerplanung sei. Dies begründete die Steuerverwaltung damit, dass die Klägerin das Unternehmen UP CAFFE nur zum Schein gründete und durch die Übertragung der Geschäfte einer früheren Gesellschaft auf diese neue Gesellschaft es zu keiner Unterbrechung der Geschäftstätigkeiten der früheren Gesellschaft gekommen sei. Durch diesen Vorgang sollte lediglich die Kleinunternehmerbefreiung, die für die frühere Gesellschaft nicht anwendbar war, wieder angewendet werden können.
Infolgedessen erging der strittige Steuerbescheid in dem die Anwendung der (unechten) Steuerbefreiung für Kleinunternehmer versagt wurde und Umsatzsteuer i. H. v. EUR 18.000 zuzüglich Verzugszinsen für den Zeitraum Januar 2018 bis Juli 2018 festgesetzt wurde. Da im streitgegenständlichen Zeitraum keine Missbrauchsvermeidungsvorschrift in der kroatischen Rechtsordnung verankert war und eine solche Vorschrift erst später in Kraft trat, wäre eine rückwirkende Anwendung dieser Regelung nach der kroatischen Recht verfassungswidrig. Diese Frage hat das Verwaltungsgericht Zagreb dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH geht eingangs auf das Verbot des Rechtsmissbrauchs ein und stellt klar, dass dieses einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt, der auch im Bereich der Umsatzsteuerrechts Anwendung findet. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH kann ein Steuerpflichtiger sich nicht in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf die in der MwStSyst-RL enthaltenen Rechte auf Abzug, Befreiung oder Erstattung von Umsatzsteuer berufen.
Der EuGH stellt sodann klar, dass im vorliegenden Fall eine missbräuchliche Praktik vorliegt, wenn Umsätze trotz der formalen Einhaltung der Bestimmungen – hier der Voraussetzungen für die Kleinunternehmerregelung – zu einem Steuervorteil wie beispielsweise Steuerersparnissen führen, der den Zielen der Kleinunternehmerregelung widerspricht, und keine andere plausible Begründung für die Umsätze erkennbar ist. Ziele und Zweck der Kleinunternehmerregelung ist, wie auch von der Generalanwältin Kokott in Ihren Schlussanträgen ausgeführt, primär die Verwaltungsvereinfachung, die den Zweck verfolgt, erhebliche Verwaltungsaufwände auf Seiten des Steuerpflichtigen wie auch der Finanzverwaltung zu ersparen. Damit verbunden ist auch die Förderung von Kleinunternehmen durch die Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit durch die Gewährung einer „Umsatzsteuerfreigrenze“. Der EuGH stellt abschließend fest, dass im vorliegenden Fall es Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist, zu ermitteln, ob die Gründung der UP CAFFE eine missbräuchliche Praktik darstellt und somit den Zielen der Kleinunternehmerregelung widerspricht.
Hinsichtlich der fehlenden nationalen Bestimmungen über das Missbrauchsverbot führt der EuGH an, dass die Mitgliedsstaaten das nationale Recht so weit wie möglich im Lichte des Wortlauts und der Zielsetzung der MwStSyst-RL auszulegen haben, um das anerkannte Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Missbrauch zu erreichen. Der EuGH verweist im Schoenimport-Urteil (verbundene Rechtssachen C-131/13, C-163/13 und C-164/13 vom 18. Dezember 2014) darauf, dass die Versagung eines Vorteils, der sich aus der MwStSyst-RL ergibt, dem Grundsatz entspricht, dass die Vorschriften des Unionsrechts nicht so ausgelegt werden dürfen, dass missbräuchliche Praktiken davon gedeckt werden.
Ergebnis
Dieses Urteil zeigt, dass selbst bei Fehlen von nationalen Rechtsgrundlagen über das Missbrauchsverbot eine unmittelbare Anwendung des Grundsatzes des Verbots missbräuchlicher Praktiken (als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts) zulässig ist, sofern das vorlegende Gericht der Auffassung sei, es handle sich bei der in Frage stehenden Praktik um eine Praktik missbräuchlicher Natur.