Vorsteuerabzug bei Vorliegen eines Mehrwertsteuerbetruges innerhalb der Lieferkette

Tax News 1/2025

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Sofern die Behörde über alle Angaben über die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges verfügt, darf sie aufgrund des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die das Recht auf Vorsteuerabzug vereiteln könnten. Dies gilt nach dem VwGH im Falle von innergemeinschaftlichen Erwerben auch dann, wenn gegen Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten verstoßen wurde.

Sachverhalt und Verfahrensgang

Erkenntnis des VwGH vom 22.10.2024, Ra 2024/13/0008:

Die Revisionswerberin war im streitgegenständlichen Zeitraum im Treibstoffvertrieb tätig. Im Rahmen einer Außenprüfung wurde festgestellt, dass der Geschäftsführer der Revisionswerberin gewusst hätte, dass einige Vorlieferanten lediglich zur Ausstellung von Scheinrechnungen und zur Mitwirkung von Umsatzsteuerverkürzungen gegründet wurden. Das Finanzamt versagte der Revisionswerberin den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der E-GmbH und der D-GmbH sowie der A-KFT und der P-GmbH. Die Revisionswerberin erhob dagegen Beschwerde beim Bundesfinanzgericht.

Betreffend den Lieferungen der E-GmbH und der D-GmbH lagen die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vor. Das Bundesfinanzgericht führte aus, dass die Revisionswerberin hätte wissen müssen, dass ein Umsatzsteuerbetrug vorliegt.

Betreffend den Lieferungen der A-KFT und der P-GmbH hat das Bundesfinanzgericht festgestellt, dass es sich um Scheinrechnungen handelt, da tatsächlich keine Lieferungen der A-KFT und der P-GmbH stattgefunden haben. Der tatsächliche Lieferant der Waren sei die BK (Deutschland) gewesen, die im Rahmen eines Reihengeschäftes die Waren direkt an die Kunden der Revisionswerberin geliefert habe. Das Bundesfinanzgericht stellte unter Verweis auf bereits rechtskräftige Feststellungen in einem Urteil des Strafgerichts fest, dass ein Scheingeschäft vorliegt. Das Bundesfinanzgericht hat für diese Beurteilung auch weiteren Sachverhaltsfeststellungen herangezogen. Das Bundesfinanzgericht stellte fest, dass der Revisionswerberin kein Vorsteuerabzug aus der Lieferung der BK zusteht, da die Revisionswerberin von einem Umsatzsteuerbetrug in der Kette hätte wissen müssen.

Zusammengefasst führt das Bundesfinanzgericht aus, dass die E-GmbH und die D-GmbH, sowie die A-KFT und die P GmbH keine Umsatzsteuer abgeführt haben und die Revisionswerberin aufgrund folgender Indizien vom Vorliegen eines Umsatzsteuerbetrugs wissen hätte müssen:

  • Die Gewinnmarge betrug EUR 400 anstatt wie gewöhnlich EUR 220;
  • Dieselbe Person hat als Handlungsbevollmächtigter der Gesellschaften gehandelt und der Geschäftsführer der Revisionswerberin wusste, dass gegen den Handlungsbevollmächtigten ein Strafverfahren bzgl. Treibstoffhandel laufe;
  • Lt. Firmenbuch ist der Geschäftszweig der D-GmbH Gastronomiebetrieb und daher branchenfremd;
  • Die P-GmbH hat für die A-KFT Rechnungen ausgestellt, da die UID-Nr. der A-KFT ungültig war.

Gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgericht erhob die Revisionswerberin Revision an den Verfassungsgerichtshof, der die Revision dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.  

Urteil des VwGH:

Der VwGH führt eingangs die allgemeine Rechtsprechung zum Recht auf Vorsteuerabzug an, wonach dieser zu gewähren ist, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn den formellen Voraussetzungen nicht genügt wird.

Eine der materiellen Voraussetzungen ist, dass die Lieferung von einem Steuerpflichtigen erbracht wurde. Wurde die Lieferung nicht bewirkt (z. B. nur Scheinrechnung), steht nach dem VwGH kein Vorsteuerabzug zu. Zudem ist der Vorsteuerabzug zu versagen, wenn das Recht missbräuchlich geltend gemacht wird. Wusste oder hätte der Steuerpflichtige wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung involviert ist, so ist der Vorsteuerabzug zu versagen.

Hinsichtlich der in der Revision angesprochenen Bindungswirkung rechtskräftiger Strafurteile hat der VwGH sich nicht geäußert, da das Bundesfinanzgericht die im Strafurteil dargelegten Informationen auch unter Hinweis auf weitere Beweisergebnisse ausführlich untermauert. Die Revision war daher in diesem Umfang zurückzuweisen.

Der Ansicht des Bundesfinanzgericht, wonach aufgrund der festgestellten Scheinrechnungen der A-KFT und P-GmbH der Revisionswerberin auch für den innergemeinschaftlichen Erwerb aus den tatsächlich von BK erworbenen Gegenständen der Vorsteuerabzug zu versagen sei, folgte der VwGH nicht. Da die Behörde über alle Angaben über die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges verfügt, darf sie aufgrund des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die das Recht auf Vorsteuerabzug vereiteln könnten.

Ergebnis

Da beim innergemeinschaftlichem Erwerb die Abfuhr der Mehrwertsteuer und der Vorsteuerabzug im gleichen Zeitraum erfolgt, wird der Steuerpflichtige von der Mehrwertsteuer entlastet. Unter Verweis auf das Urteil des EuGH vom 11.11.2021, C-281/20, Feriment, führt der VwGH aus, dass die Angabe eines fiktiven Lieferers nur dann schädlich für den Vorsteuerabzug ist, wenn dies dazu führt, dass die Identität des wahren Lieferers unbekannt bleibt und daher nicht geprüft werden kann, ob dieser ein Steuerpflichtiger ist. Im vorliegenden Fall gibt es aber keinen Zweifel, dass BK ein Steuerpflichtiger ist und daher rechtfertigen es die Verstöße der Revisionswerberin gegen Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten nicht, den Vorsteuerabzug zu versagen.

Der streitgegenständliche Sachverhalt zeigt erneut die strenge Ansicht der österreichischen Finanzbehörden hinsichtlich „betrugsverdächtigen“ Fallkonstellationen auf.