Außergewöhnliche Belastungen: VfGH zum Nachweis der Abzugsfähigkeit einer Zahlung
Tax News 1/2025
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Leidet eine Steuerpflichtige seit Jahren nachweislich an einem körperlichen Gebrechen, das auf Grundlage eines ärztlichen Gutachtens auch jahrelang therapiert wird, ist für die steuerliche Abzugsfähigkeit der Behandlungen als außergewöhnliche Belastung laut Verfassungsgerichtshof (VfGH) keine für jedes Steuerjahr erneut ausgestellte ärztliche Bestätigung erforderlich. Das Bundesfinanzgericht (BFG) hatte dies zuvor noch strenger beurteilt.
1. BFG: Nachweisführung unzureichend
Die Beschwerdeführerin (Bf) beantragte in ihrer Arbeitnehmerveranlagung 2020 den Abzug von Kosten der Heilbehandlungen von Massagen und Osteopathie i. H. v. EUR 3.141 als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt. Weder ein Sozialversicherungsträger noch eine private Versicherung leisteten einen Ersatz. Sie verfügte über einen Behindertenpass mit einer Bescheinigung eines Behinderungsgrades von 70 % und einen Parkausweis für Behinderte, Pflegegeld erhielt sie nicht. In den vergangenen Jahren waren diese Ausgaben immer anerkannt worden. Der Freibetrag für Behinderung gem. § 35 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) sowie der Pauschbetrag für das eigene Kfz wegen Behinderung wurden gewährt.
Ihre Ärztin bestätigte nach einem Bedenkenvorhalt des Finanzamtes, dass regelmäßige physiotherapeutische Behandlungen mit Massagen zur Stabilisierung der Beschwerden und der Verbesserung der Mobilität notwendig sind. Für die Finanzverwaltung und das BFG (BFG 5.6.2023, RV/4100539/2022) waren diese Nachweise unzureichend, da ein fachärztliches Gutachten vom 7.4.2016 und ein Befundbericht vom 13.10.2021 die medizinische Zwangsläufigkeit der Behandlungen im Jahr 2020 nicht belegen würden. Es fehle eine ärztliche Verordnung zu den Behandlungen im Jahr 2020. Damit scheide ein Steuerabzug aus.
2. VfGH: Gleichheitsgrundsatz verletzt
Gegen dieses BFG-Erkenntnis brachte die Bf eine Beschwerde vor dem VfGH (VfGH 17.9.2024, E 2212/2023) ein und obsiegte, da sie im verfassungsgesetzlichen Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt wurde. Für den VfGH bestätigten die beiden ärztlichen Atteste vom 7.4.2016 und 13.10.2021, dass regelmäßige physiotherapeutische Maßnahmen aus ärztlicher Sicht notwendig sind. Die Bf leidet seit längerer Zeit an einer körperlichen Beeinträchtigung, für die sie laufend therapiert wird. Die medizinische Notwendigkeit einer regelmäßigen Behandlung zur Stabilisierung und Verbesserung der Mobilität war im ärztlichen Gutachten aus dem Jahr 2016 dem Grunde nach festgestellt worden.
In einem solchen Fall verletzt das BFG den Gleichheitsgrundsatz, wenn es einem medizinischen Attest aus dem Jahr 2021 die Eignung zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit nur deswegen abspricht, weil dieses nicht zu Beginn der vergleichbaren im Jahr 2020 durchgeführten Behandlungen eingeholt wurde. Da die Bf offensichtlich regelmäßig therapiert werden musste, kann die Notwendigkeit dieser jahrelangen Behandlungen im Jahr 2020 nicht ohne weitere Feststellungen verneint werden. Es liegt zudem keine bloße ärztliche Empfehlung vor. Das BFG belastete sein Erkenntnis mit willkürlicher Begründung, dieses war daher aufzuheben.
3. Anmerkungen: Ausstrahlwirkung des VfGH-Erkenntnisses
Strittig war, ob die Bf die medizinische Zwangsläufigkeit der Therapien i. S. d. §§ 34 f EStG nachgewiesen hat. Die beiden Gerichte BFG und VfGH kamen dabei zu einem unterschiedlichen Ergebnis: Für das BFG ist entscheidend, dass die Bf vor Behandlungsbeginn für das Steuerjahr 2020 keine ärztliche Verordnung einholte. Dies ist für den VfGH nicht ausschlaggebend, da das Gesamtbild der Verhältnisse maßgeblich ist. Für den VfGH ist aufgrund des langjährig vorliegenden Gesundheitszustandes der Bf i. V. m. weiteren Unterlagen (Behindertenpass, Parkausweis für Behinderte, ärztliche Befunde, jährlich absolvierte Therapien) naheliegend, dass die Behandlungen auch im Jahr 2020 medizinisch indiziert waren. Indem das BFG diese Unterlagen bei seiner Entscheidung ausblendete, verletzte es die Bf in ihrem Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.
Diese Ausführungen des VfGH lassen sich auf andere Fälle übertragen. Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse bzw. laut § 21 Abs. 1 Bundesabgabenordnung in wirtschaftlicher Betrachtungsweise der wahre wirtschaftliche Gehalt. Nur wenn eine Norm besondere Nachweise verlangt, wie beispielsweise § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. a i. V. m. § 11 Umsatzsteuergesetz zum Vorsteuerabzug, greift eine strengere Sichtweise. Hier kann der Vorsteuerabzug trotz Nachweises der geleisteten Zahlung für eine erbrachte Leistung verweigert werden, wenn ein erforderliches Rechnungsmerkmal fehlt. Da im Ertragsteuerrecht keine entsprechende Formvorschrift besteht, ist im Normalfall der Nachweis der Zahlung einer im steuerlichen Interesse erhaltenen Leistung ausreichend.
Im Ergebnis verbietet das Verfassungsrecht laut VfGH eine allzu formalistische Interpretation des Steuerrechts. Im vorliegenden Fall interpretierte das Höchstgericht das einkommensteuerliche Periodenprinzip milder als das BFG. Konkrete Nachweise für die Abzugsfähigkeit außergewöhnlicher Belastungen müssen danach nicht zwingend aus jenem Veranlagungsjahr stammen, das steuerlich betroffen ist (hier: Veranlagungsjahr 2020). Der VfGH knüpft damit auch an Rechtsprechung aus der Vergangenheit an: So verstieß die Nichtgewährung einer Umsatzsteuerbefreiung allein deshalb, weil ein formeller Buchnachweis fehlte, gegen das dem Gleichheitssatz innewohnende Verhältnismäßigkeitsgebot (VfGH 12.12.2003, B 916/02).