2. Bedenken des VfGH gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 10 WiEReG
Ausgangspunkt des aktuellen Gesetzesprüfungsverfahrens war der Antrag eines Profil-Investigativjournalisten, der von der Registerbehörde die Übermittlung eines einfachen und eines erweiterten Auszugs gemäß § 9 Abs. 4 und 5 WiEReG für eine konkrete, meldepflichtige Gesellschaft beantragte, sowie Einsicht in das für diese Gesellschaft gespeicherte Compliance-Package begehrte.
Er begründete diesen Antrag damit, es bestünde bei dieser Gesellschaft der näher ausgeführte Verdacht, dass Russland-Sanktionen der EU umgangen worden seien und die an das Register gemeldeten Daten nicht korrekt wären, womit beim Einsichtswerber ein deutlich über den Durchschnitt hinausgehendes berechtigtes Interesse vorliege. Die Offenlegung der begehrten Informationen stehe im öffentlichen Interesse, weil sie für Transparenz über die Art und Weise der Führung von Amtsgeschäften und in Bezug auf eine Angelegenheit sorge, die von gesellschaftlichem Interesse sei.
Sowohl die Registerbehörde als auch das BVwG als Rechtsmittelgericht wiesen die Anträge/Beschwerde des Journalisten zurück bzw. ab, im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Einsichtswerber kein Verpflichteter gemäß § 9 Abs. 1 WiEReG sei, weshalb ihm kein über § 10 Abs. 1 WiEReG hinausgehendes Einsichtsrecht zustehe. Gegen das abweisende Erkenntnis des BVwG erhob der Journalist Beschwerde an den VfGH.
Mit Beschluss vom 11.3.2025 erkannte der VfGH die Beschwerde vorläufig für zulässig, unterbrach das Beschwerdeverfahren jedoch, weil bei der Behandlung der Beschwerde Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der §§ 10 und 10a WiEReG entstanden waren.
Demnach geht der VfGH vorläufig davon aus, dass der Zugang zu den im WE-Register enthaltenen Daten für die Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit, insbesondere der Freiheit, Informationen zu erhalten und zu verbreiten, von entscheidender Bedeutung sein kann. Der VfGH stimmte auch mit dem EuGH überein, dass Garantien etabliert werden müssen, die einen wirksamen Schutz der personenbezogenen Daten der Betroffenen vor Missbrauchsrisiken ermöglichen. Demgemäß sei eine Beschränkung der Einsichtnahme in staatliche Informationen gemäß Art 10 Abs. 2 EMRK zulässig, wenn die Bereitstellung dieser Informationen für die Wahrnehmung von öffentlichen Kontrollaufgaben durch Einsichtswerber (wie z. B. public watchdogs“ oder „social watchdogs“) nicht erforderlich sei. Eine Beschränkung der Einsichtnahme sei überdies zulässig und geboten, wenn die durch § 1 Abs. 1 DSG i. V. m. Art. 8 EMRK garantierten Interessen des betroffenen Rechtsträgers bzw. von dessen wirtschaftlichen Eigentümern (WE) unverhältnismäßig beeinträchtigt würden.
Die in Österreich erfolgte Einschränkung der Einsicht in das WE-Register auf Behörden (§ 12 WiEReG), Verpflichtete (§ 9 WiEReG) und Personen (Dritte), die ein „berechtigtes Interesse“ nachweisen können, wurde vom VfGH als grundsätzlich zulässig qualifiziert.
Der VfGH hegt jedoch Bedenken, dass das von Dritten nachzuweisende „berechtigte Interesse“ gemäß § 10 Abs. 2 WiEReG unverhältnismäßig und daher in einer dem Art. 10 EMRK zuwiderlaufenden Art und Weise eingeschränkt werde. Für den VfGH erscheint es vorläufig als mit Art. 10 EMRK unvereinbar, Dritten nur dann Einsicht in das Register einzuräumen, wenn dies zu den in § 10 Abs. 2 WiEReG genannten (eingeschränkten) Zwecken erfolgt und es dementsprechend nicht genüge, dass Einsichtswerber (irgend)ein berechtigtes Interesse iSd Art. 10 EMRK geltend machen können.
Der VfGH geht auch vorläufig davon aus, dass § 10 WiEReG das Einsichtsrecht für Personen mit berechtigtem Interesse unverhältnismäßig beschränken dürfte, zumal von § 10 Abs. 1 WiEReG nicht erfasste Daten Informationen von öffentlichem Interesse sein können, die zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen. Dies dürfte laut VfGH bei den oben in Punkt 1.) beispielhaft aufgezählten Daten der Fall sein, die zwar in einfachen bzw. erweiterten Auszügen gemäß § 9 Abs. 4 und Abs. 5 WiEReG, nicht aber in Auszügen gemäß § 10 WiEReG enthalten sind.
Für den VfGH ist vorläufig auch nicht erkennbar, weshalb vom Gesetzgeber die Einsichtsrechte von Verpflichteten (§ 9 WiEReG) aktuell umfassender ausgestaltet wurden als jene von Dritten mit berechtigtem Interesse (§ 10 WiEReG), was gemäß der vorläufigen Auffassung des VfGH gegen das Grundrecht auf Informations- und Meinungsfreiheit gemäß Art. 10 i. V. m. Art. 14 EMRK bzw. den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 2 StGG und Art. 7 BVG verstoßen könnte.
Im aktuellen Gesetzesprüfungsverfahren wird der VfGH klären, ob Personen (Dritten) mit berechtigtem Interesse gemäß § 10 WiEReG tatsächlich Einsicht in sämtliche in § 9 WiEReG aufgelisteten Daten zu gewähren ist, wobei er bei der Abwägung des Grundrechts auf Informations- und Meinungsfreiheit gegenüber dem Grundrecht auf Datenschutz auch zu berücksichtigen haben wird, ob und weshalb der Gesetzgeber in anderen Gesetzen als dem WiEReG bestimmte Dokumente/Daten von der allgemeinen oder beschränkten Einsicht ausgenommen hat.
Der VfGH hat den Gesetzgeber zur Abgabe einer Stellungnahme zu diesem Verfahren aufgefordert, die von der Bundesregierung am 28.5.2025 im Ministerrat beschlossen und an den VfGH übermittelt wurde. Das Bundeskanzleramt hat die von uns angefragte Übermittlung dieser Stellungnahme zuletzt aber leider unter Hinweis auf die Amtsverschwiegenheit zum Schutz des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung vor dem Abschluss des Verfahrens abgelehnt.